Sie bemerkten einmal, dass Schönheit ein spiritueller Ort sei. Wie ist das zu verstehen?
Pater Anselm Grün: Platon sagt, alles, was ist, ist wahr und gut und schön. Schönheit ist nicht nur ein Aspekt des Seins, sondern auch Gottes. Der Neuplatonist Plotin nennt Gott das Urschöne, sodass sich in allem, was wir schön nennen, Gottes Schönheit widerspiegelt. Immanuel Kant verlagert die Schönheit in das subjektive Urteil. Und es ist ein großer Unterschied, ob ich sage: Das ist schön oder: Ich empfinde das als schön. Deshalb sind alle Theologen, die Kant gefolgt sind, pessimistischer als die Platon-Anhänger.
Andererseits sprachen Sie von der Schönheit, die im Auge des Betrachters liegt.
Weil das Schöne mich in Berührung mit meiner schönen Seele bringt. Mit dem Bild Gottes, das ich bin. Schönheit und Liebe gehören bei Platon zusammen. Ein schöner Mensch und eine schöne Landschaft erzeugen Liebe. Und umgekehrt ist die Liebe auch die Bedingung für das Erkennen von Schönheit. Meine Schönheit erfahre ich nur, wenn ich mich liebevoll anschaue. Schön kommt von „schauen“ und auch von „schonen“. Das Schöne muss ich schonen, ich kann es nicht besitzen.