Hat die Liebe eine Zukunft? Diese absurde Frage wird mir als Zukunftsforscher immer wieder – mit einem Unterton der Verzweiflung – gestellt. Absurd scheint sie schon deshalb, weil wir in einer von der Liebe geradezu besessenen Kultur leben. Geht es nicht überall und allerorts nur noch um „das eine“? Wohin man schaut: Liebesdramen, Traumhochzeiten, Promi-Scheidungen, Internet-Dating. In jeder Zeitschrift geben Beziehungsexperten Rat und in allen Komödien, Dramen und Krimiserien stehen immer Liebesfragen und -formen im Mittelpunkt. Selbst in „Game of Thrones“, der Kultserie unserer Tage, geht es außer um Macht vor allem um die Liebe.
Die Liebe gehört zur menschlichen Existenz. Und doch lässt uns irgendetwas an ihrer Zukunftsfähigkeit zweifeln. Nein, nicht die „ständig steigenden Scheidungsraten“ – die sind nämlich ein Gerücht. Seit etwa einem Jahrzehnt gehen diese in den meisten europäischen Ländern
wieder zurück. Die Phase der „großen Auflösung“, als man glaubte, wir würden irgendwann alle nur noch in kleinen Single-Wohnungen leben, ist längst vorbei. Was sich heute besonders schnell ändert, ist jedoch unser Umgang mit dem Lieben und dem Verliebtsein. Die Ansprüche an die schönste Sache der Welt wandeln sich radikal und das führt zu unglaublichen Turbulenzen.
Um das moderne Liebesdrama zu verstehen, hilft es, das Phänomen „Liebe“ aus der Millionen Jahre dauernden Evolution der Menschheit heraus zu verstehen. Praktisch alle Urkulturen kennen die Zärtlichkeit, die Intimität, die Nähe zweier ineinander verliebter Menschen. In den heute noch existierenden Stammeskulturen wird die Verliebtheit nicht selten als eine Art „magischer Wahn“ angesehen, der mit Ritualen und Tänzen beschworen und gefeiert wird.